Ausweglosigkeit – eine alltägliche Erfahrung.
Wie es sich anfühlt, auf einen Prellbock aufzufahren und sich nichts mehr bewegt.
Und wie sich dies vermeiden lässt…
Leistungsdruck nimmt zu, seit Jahren
Viele Menschen Menschen gehen tagein tagaus auf die Galeere – ohne dass es ihnen bewusst ist. Weil sie dürfen ja noch wählen, auf welche Bank sie sitzen wollen, um nach der geforderten Schlagzahl zu rudern. Heutzutage gibt es oft nicht mal mehr genügend Plätze auf den Bänken. Und man flüchtet dann auf die Bank im Homeoffice. Irgendwie hat es sich so eingeschlichen, dass dies völlig normal ist. Wer macht sich schon Gedanken darüber? Das führt dazu, dass viele auf “Standby” arbeiten. Neuste Studien behaupten, dass 8 von 10 Mitarbeitern abgelöscht sind. Eine erschreckende Zahl. Wo bleibt da die Begeisterung, die innere Motivation, die Sinnaftigkeit der Arbeit? Dies wären doch wichtige Treiber für eine gute Mitarbeiterzufriedenheit und eine sinnstiftende Arbeit.
In diesem Spannungsfeld passiert es nun recht oft, dass ein Mensch an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit kommt. Ein Prozess, der sich langsam einschleicht und eine wachsende Belastung darstellt. In solchen Situationen muss nicht sehr viel passieren, bis es explosiv wird. Und wenn es zuviel ist, dann ist das eine grosse Bedrohung für das eigene Überleben. Die eigene Selbstbestimmung zieht sich zurück wie eine Schnecke in ihr Schneckenhaus. Und jedes auftretende Problem wird riesengross empfunden.
Erwartungen von aussen übermannen die Innenwelt
Es braucht irgend einen externen Auslöser, und der Mensch fühlt sich in einer ausweglosen Situation. Ein Thema, das in meiner Coachingarbeit immer öfter auf dem Tisch landet. Ausweglose Situationen sind oft begleitet von tiefer Verzweiflung, nicht mehr wissen wie weiter. Sie sind oft so absolut. Schwarz/weiss.
Wenn wir dies näher betrachten, so ist es einfach auf ein inneres Denkmuster zurückzuführen, dass man der Situation total ausgeliefert ist. Und wenn Menschen in eine solche Situation kommen, beginnen sie zu “hypern”, verfallen in blinden Aktionismus und es “macht mit ihnen”. Der Stress nimmt zu und damit auch die Überforderung die aktuelle Situation zu meistern. Wir sprechen dann von einer Blockade. Wie ein Auto im Wüstensand, das aufliegt und die Räder im leeren drehen. Kein Fortkommen mehr. Und der Durst in der sengenden Sonne nimmt zu.
Stress hat man nicht einfach so.
Stress entsteht durch die Art, wie du auf Dinge reagierst.
Ich denke, dass jeder Mensch früher oder später mal in eine solche Situation gerät. Ist irgendwie menschlich. Oder? Das kann passieren. Die Frage ist nur, wie geht er damit um?
Ein persönliches Erlebnis – Die Geschichte von den Fasnachtschüechli
Meine erste Erinnerung an einen solches Erlebnis der totalen Überforderung kommt mir gerade in Sinn den. Ich sitze als 5jähriger Junge in der warmen Küche meiner Grossmutter. Es ist in einem Haus in den Bergen, wo ich aufgewachsen bin. Ein Holzhaus. Die Küche ist der einzige Raum im Haus, der beheizt ist. Der Holzherd knistert Tag und Nacht. Und draussen ist Winter, kalter Winter. Es “guxt” draussen – ein kalter Nordwind treibt die Schneeflocken wie Nadeln ins durchfrorene Gesicht.
Mein Grossmutter mag mich sehr. Immer, wenn ich Bauchweh habe, macht sie mir einen Schnapskaffee – und ich gestehe, ich hatte oft Bauchweh.
An diesem kalten Februartag eröffnet mir die Grossmutter, dass sie heute “Chruchtele” macht, der einheimische Ausdruck für Fasnachtschüechli. Du kannst dir vorstellen, wie ich mich darauf freue. Der Teig ist schon bereit, und nun setzt sie die Bratpfanne auf den Herd. Sie nimmt zwei, drei Herdringe weg, damit die Pfanne gut aufs Feuer passt. Und dann Öl in die Pfanne, drei vier Liter braucht es schon. Das Feuer knistert, die Pfanne wird wärmer und wärmer. Meine Grossmutter will noch schnell hinaus gehen, um Holz zu holen. Ich bin alleine in der Küche und schaue gespannt, was da in der Bratpfanne passiert. Plötzlich wird das Öl sehr flüssig, nicht mehr so ölig. Und eine weitere Minute später macht es Wusch, und die Pfanne brennt lichterloh mit dem Öl. Sofort ist es sehr, sehr hell in der dunklen, rauchgeschwärzten Küche. Mein Herz rast, der Puls steigt mir in den Kopf. Schnell läuft der Film von einem Holzhaus in Flammen, mit diesem Nordwind nicht zu löschen. Meine Pupillen verengen sich und plötzlich entfährt mir ein lauter Schrei.
Meine Grossmutter vergisst sich beim Holzholen, hat mit einer Nachbarin einen Schwatz. Ich alleine in der Küche. Sie hört den Schrei. Schnellen Schrittes kommt sie in die Küche, ihr Kopftuch eng umgebunden und schaut sich die Situation an. Sie weiss sofort, was das bedeutet. Mit einem gezielten Griff packt sie den Stil der Bratpfanne, mit blossen Händen, ohne Topflappen – ich habe sie oft bewundert, wie sie mit ihren Händen brennende Scheite im Herd zurechtgerückt hat. Dann ein Dreh, das Fenster ist offen und mit sicherer Hand streckt sie die brennende Bratpfanne in die kalte Luft – bei minus 25Grad. Es braucht etwa anderthalb Minuten, bis sich das Öl soweit abkühlt, dass es von selbst erlischt. Ich beobachte diese ganze Sache mit meinen staunenden Kinderaugen.
Was mir damals so prägend in Erinnerung geblieben ist: die Seelenruhe, die meine Grossmutter gehabt hat, um die Situation zu meistern. Heute bin ich mir sicher, dass mir dies gezeigt hat, wie wichtig es ist, in kniffligen Situation Ruhe zu bewahren und das zu tun, was gerade nötig ist. Kein Stress, kein Hypern, kein “Jufeln” – einfach total in der inneren Ruhe bleiben. So arbeiten Rettungssanitäter, Lawinenhundeführer, Feuerwehrleute, Mütter, und manchmal auch Coaches.
Was lernen wir aus dieser Situation?
Hilfreiche Strategie um einer mentalen Geiselnahme durch eine auswegslose Situation zu entfliehen
Eigentlich ist das Verhalten in einer ausweglosen Situation mit einer momentanen Überforderung zu erklären. Der Mensch reagiert, wie er dafür gebaut ist: Angriff, Flucht oder Totstellen. Diese Reaktionen sind jedoch selten hilfreich. Sie folgenden einem Reflex, der sich der Kontrolle des Bewusstseins entzieht.
Beispiel gefällig? Elvira kommt zu mir ins Coaching. Sie hat Mühe ihre Finanzen sauber zu bewirtschaften. Das verfügbare Geld reicht oft nicht zum Begleichen der offenen Rechnungen. Das bringt Elvira in Bedrängnis. langsam ist die Situation soweit, dass sie die ersten Betreibungen erwartet. Das erhöht zusätzlich den Druck. Alles in allem eine ausweglose Situation. Um diesem Druck zu entkommen, beginnt Elvira, die Rechnungen und Mahnungen in der Post gar nicht mehr zu öffnen. Sie legt sie einfach in eine Schublade. So schaut sie der Sache nicht ins Gesicht. Der Druck in ihrem Bewusstsein nimmt weiter zu, und die schlaflosen Nächte auch. Ein Beispiel für Totstellen. Mit nur einer einzigen Coaching Session kriegen wir die Sache wieder in den Griff.
Oder Janos. Er ist total unglücklich im Job, arbeitet freudlos und ist am Montag oft krank. Seit langer Zeit wartet er auf seine Pensionierung. Dann beginnt das Leben. Und wenn es wieder Mal recht unerträglich wird, träumt er von seiner Insel. Dort ist er für sich und kann sich Ruhe gönnen. Die Insel kann er sich nicht leisten, und dadurch auch nicht die Ruhe. Ein typisches Beispiel für ein Fluchtverhalten. Hilft auch nicht, oder?
Ja, noch ein Beispiel für die Variante Angriff? Rudi, ein Unternehmer mit einer kleinen Schreinerei bekommt eine Mahnung von der AHV. Er hat seine Beträge noch nicht eingezahlt. Die AHV fackelt nicht lange, dass weiss er. Er ist im Moment nicht liquid und weiss nicht, woher er das Geld für die Begleichung nehmen soll. Seine Freunde hat er schon alle angepumpt, die wollen ihm auch nicht mehr helfen. So geht er in Angriff über, schimpft wie ein Rohrspatz über die AHV und wie die die einfachen Leute ausnehmen. Wo er nur kann, donnert er über die Behörden und die Halunken, die dort arbeiten. Dies löst allerdings nicht sein Problem, überhaupt nicht.
Während ich dies so schreibe, poppt mir gerade eine Meldung auf mein Smartphone, von über dem Teich. Die verschiedenen “Investigations” veranlassen den Kerl dort, via Twitter arg gegen alle zu wäffeln, die gegen ihn sind und ihm ans Lebendige wollen. Er fühlt sich als Opfer. Wir werden nun sehen, ob das hilft.
Also langer Rede kurzer Sinn: einfach sich einem Reflex zu ergeben bringt hier nicht viel Fortschritt. Einer der wichtigsten Aspekte im Umgang mit ausweglosen Situationen ist die tiefe, innere Gewissheit:
1. Nur du kannst dir helfen. Also bleib in deiner Kraft!
Obwohl solche Situationen oft von anderen Menschen in deinem Umfeld angetriggert werden, kannst nur du etwas machen, damit du nicht wie gelähmt da stehst und auf Rettung wartest, wie ein Maikäfer, der zappelnd auf dem Rücken liegt.
In Situationen, wo du realisierst, dass sich da etwas zuspitzt und es dir ans “Läbige” geht, verschlägt es einem den Atem. Und wer schlecht atmet, oberflächlich atmet, dem Spielen seine Stresshormone verrückt, was den Atem und die klare Sicht weiter einengt. Also:
2. Atme mehrmals bewusst und tief in beide Lungenflügel und beweg dich dabei. Du bist kein Baum!
Und dann kommt der wichtige Schritt:
3. Spüre in dich hinein, was es gerade mit dir macht (Sensory Awareness). Nimm die Gefühle wahr, Körperreaktionen und atme weiter tief.
So verhinderst du, dass du dich kopflos in Aktivismus stürzest und so das machst, was du eigentlich nicht willst: reflexartig und instinktiv handeln.
Nach wenigen Augenblicken wird es dir besser ergehen. Deine Amygdala – ein mandelgrosses Ding im inneren des Hirns – läutet dann nicht Alarm. Du kannst weiter offen und frei denken und entsprechend handeln. So entkommst du den Geiselnahmen, und du bleibst ein freier Mensch, der nicht getrieben ist von unreflektierten Ängsten, Meister deiner selbst. Und du kannst weiterhin selbstbestimmt das tun, was gerade angesagt und sinnvoll erscheint, mit sicherer Hand und ohne dich zu verbrennen.
Gelingt es dir, diese drei Schritte bewusst zu gehen, wirst du eine Grundlage schaffen, um deine ausweglosen Situationen so zu meistern, dass es dich nicht mehr umhaut und du weiter in deiner Kraft bleibst. Sowas erlebt man auch manchmal, wenn man Mannschaften im Sport zuschaut. Sie speilen mies, der Gegner schafft es, sie zu irritieren. Und den Spielern rutscht das Herz in die Hosen. Mutlos und kraftlos irren sie auf dem Spielfeld umher. Dann kommt eine Pause. Und nach der Pause weht ein anderer Geist. Sie haben sich gefangen, ihr Mindset hat sich offensichtlich geändert und damit auch ihr Glaube, eine gute Leistung zu erbringen. Da ist was passiert in der Pause – sicher kein Zusammenschiss! Der würde nichts bewirken. Roger Federer ist ein Meister in dieser mentalen Arbeit, wie wir oft beobachten können.
Die systemische Wirkung von “ausweglosen Situationen” in Organisationen
Schauen wir uns kurz mal an, was in Unternehmen passiert, wenn irgendwo in der Zentrale, am Hauptsitz oder im Zentrum der Macht eine solche ausweglose Situation getriggert wird. Das kann verursacht werden durch eine unerwartete Erhöhung der Zollabgaben, die Preisreduktion eines Mitbewerbers, eine neue Regelung der FINMA, oder ganz allgemein eine erschreckende Entwicklung der Verkäufe oder des Aktienkurses. Irgend einer wird dann zur Geisel dieses Auslösers. Er beginnt zu hypern, und agiert blitzschnell mit einer Anweisung, oft per Mail oder SMS. Selten an eine Einzelperson, oft an einen recht grossen internen Verteiler. Damit pflanzt sich diese “ausweglose” Situation ungebremst weiter, über die vielen Führungsebenen bis an die Basis. Und niemand dort versteht, warum man in einer solchen Situation solche Anweisungen gibt und was sie bringen sollen. Auch schon etwas ähnliches erlebt? Das passiert täglich in grossen und kleinen Unternehmen. So werden Führungskräfte manchmal zu Dealern von mentalen Geiselnahmen und lähmen damit Abteilungen und ganze Unternehmensbereiche. Nicht gerade dienlich für eine gute Performance. Oder?
Führungskompetenz leben
Sollte es mal vorkommen – und es kommt vor! – dass du einem Menschen begegnest, der sich gerade in einer ausweglosen Situation befindet. Sei es ein Mitarbeiter, ein Lieferant, ein Kunde oder irgend ein Mensch aus deinem direkten Umfeld. Dann ist folgendes Vorgehen hilfreich:
Aus einem emotionalen Zustand zu einer neuen Sicht und einem neuen hilfreichen Verhalten gelangen.
1. Störung wahrnehmen
- Ich beobachte wie du…
- Und ich frage mich, was da wohl…
- Erlaubnisfrage: Magst du darüber sprechen?
2. Verstehen und nachempfinden – Gefühl aushalten können
- Was macht das mit dir?
- Wie fühlst du dich dabei? (achten auf Ängste, Sorgen, Nöte, Sachzwänge,…)
- Wiederholen, verstärken – Verständnis zeigen, dass solche Gefühle in Ordnung sind
- Achtung Falle: die Gefühle übernehmen, klein machen oder abwerten
- Hilfreich: tief atmen – du (!) und dein Mitarbeiter – allenfalls Spaziergang machen
- Achten, ob das Gefühl schwächer wird – eventuell Skala von 1 bis 10 benutzen
- erst weiter machen, wenn der Zustand sich wesentlich verbessert hat
3. Energiespektrum wahrnehmen
- Und wie geht es dir jetzt mit deiner Energie? (achten auf Flow oder Blockade)
4. Neues Verhalten finden – Lösungsorientierung
- Was würde dir jetzt helfen? Was könntest du machen, dass…
5. Aktiv werden
- Ok, was packst du jetzt konkret an?
Weiterführende Hinweise: siehe auch Downloads zum Thema “Umgang mit Emotionen”
Mentoring / Coaching
Wenn du das Bedürfnis hast, deine Strategie im Umgang mit ausweglosen Situationen mit einer Person auszutauschen, die dich versteht und mit der du stimmige Lösungen findest, melde dich – ich nehme mir gerne die Zeit!
Herzlich